Der Energiemittelstand in der Corona-Krise – Handlungen, Strategien, Chancen
Drei Fragen an zwei Majors: ExxonMobil und Total
eot. In den vergangenen Wochen haben wir in einer Schnellbefragung jeweils drei Fragen an Geschäftsführer aus dem Energiemittelstand, den Branchenverbänden und Softwareunternehmen gestellt. Nachdem die ersten unternehmerischen Reaktionen auf die Krise umgesetzt wurden, haben sich die Führungskräfte auf die neue Situation eingestellt und beginnen, die veränderten Rahmenbedingungen zu bewerten sowie ihre Unternehmen auf die Zeit nach der Pandemie einzustellen.
In der zurückliegenden Woche trat jetzt ein Phänomen erstmalig auf: Der Preis für ein Barrel West Texas Intermediate zur Lieferung im Mai 2020 fiel auf einen negativen Wert. Bei Abnahme eines Fasses Rohöl erhielt der Abnehmer also nicht nur die Ware, sondern zusätzlich auch noch Geld. Auch die für den internationalen Handel wichtigere Sorte Brent-Nordsee-Rohöl verbilligte sich zuletzt deutlich und lag zeitweise bei einem Preis von rund 20 $/b. Diese noch nie dagewesene Entwicklung beim WTI ist sicherlich auf den Umstand des Auslaufens der Mai-Kontrakte am Folgetag zurückzuführen gewesen. Auch wenn das Rohöl zu diesen Futurepreisen selten wirklich gehandelt wird – es handelt sich eher um ein Produkt für spekulative Finanzgeschäfte, tatsächliche Rohöllieferungen werden überwiegend über Langfristverträge gehandelt – so zeigt diese Entwicklung die angespannte Situation, in der sich der globale Rohölsektor befindet.
Der durch die Corona-Krise plötzlich ausgelöste Rückgang der Rohölnachfrage traf auf einen kurz zuvor ausgelösten Preiskampf zwischen der OPEC und Russland. Die auf Vermittlung von Donald Trump getroffenen Zusagen zur baldigen Förderkürzung durch die OPEC+ verhalfen den Rohölpreisen nur zu einer kurzen Verschnaufpause. Zu gering ist die Wirkung der Förderkürzungen – zunächst geplant rund 10 Mio. b/d – auf den globalen Nachfragerückgang (geschätzt rund 25 Mio. b/d bis 30 Mio. b/d). Die Rohöllager der Staaten füllen sich in einem rasanten Tempo, sodass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch diese Ausweichmöglichkeit erschöpft ist.
Aus diesem Grund haben wir in dieser Woche drei Fragen an die Geschäftsführer/CEO von fünf Major-Unternehmen gestellt, um eine Bewertung der Situation aus ihrer Sicht sowie Einschätzungen der langfristigen Auswirkungen der aktuellen Situation auf ihr Geschäft und die gesamte Wertschöpfungskette zu erhalten. Zwei Geschäftsführer haben die Zeit gefunden, uns die folgenden Fragen zu beantworten:
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Die Diskussion über die Auswirkungen der Corona-Krise auf die deutsche Wirtschaft wird zunehmend im globalen Kontext geführt. Welche Szenarien beim globalen Kampf gegen Corona erscheinen Ihnen am wahrscheinlichsten und welche Auswirkungen werden diese auf die internationalen Warenströme, Ihr Kerngeschäft und die Wirtschaft in Deutschland haben?
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Über welchen Zeitraum und für welche Bereiche entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Bohrloch bis zum Endkunden sehen Sie deutliche Konsequenzen infolge der aktuellen Krisensituation und werden diese Einschätzungen möglicherweise zu schnelleren Umstrukturierungsmaßnahmen Ihres Unternehmens hin zu neuen Geschäftsfeldern führen?
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Wie beurteilen Sie die aktuell in Deutschland aufkommende Diskussion zur Vereinbarkeit von reiner Krisenbewältigung (Schutz von Arbeitsplätzen, ganzen Unternehmungen sowie der Aufrechterhaltung grundlegender Geschäftsprozesse auch über die akute Krisensituation hinaus) mit den Forderungen in der aktuellen Krise die Investitionen in die Energiewende hin zur Klimaneutralität sogar stärker zu forcieren?
Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich für die Beiträge und damit die Unterstützung und Anerkennung unserer Arbeit bedanken. In den folgenden Wochen werden wir unsere Leserinnen und Leser in dieser außergewöhnlichen Situation weiter fachlich begleiten.
Wenn Sie Fragen haben, die wir im Rahmen dieser Artikelserie beantworten sollen, nehmen Sie bitte jederzeit Kontakt zu unserer Redaktion auf: per E-Mail an verlag@oil-telegram.de oder unter der Telefonnummer 040/251113.
Jens-Christian Senger, Vorstandsvorsitzender der ExxonMobil Central Europe Holding GmbH (Foto: ExxonMobil)
Jens-Christian Senger, Vorstandsvorsitzender der ExxonMobil Central Europe Holding GmbH, 24.4.2020
Zu Frage 1: Nun, ich bin davon überzeugt, dass die Corona-Krise und deren Überwindung kein Sprint von einigen Monaten ist, sondern wir hier in einem Marathon unterwegs sind. Das gilt übrigens nicht nur für uns, sondern für fast alle Branchen und für viele Unternehmen in Deutschland und weltweit. Für ExxonMobil ist dabei – neben der Verantwortung für die Gesundheit unserer Mitarbeiter – die Sicherung unserer Lieferverpflichtungen von Energie, Kraft- und Schmierstoffen sowie unseren chemischen Produkten oberste Prämisse.
Die langfristigen Grundlagen, die das Geschäft des Unternehmens stützen, haben sich nicht geändert. Die Bevölkerung und der Energiebedarf werden weltweit wachsen, und die Wirtschaft wird sich erholen. Auch unsere Prioritäten bei Investitionen bleiben unverändert. Unser Ziel ist es, weiterhin in zukunftsfähige Technologien und Projekte zu investieren, die zur Wertschöpfung beitragen.
Wir müssen und werden uns an die aktuelle Marktsituation anpassen: ExxonMobil fährt global die Investitionen um 30 % zurück. Wir werden sehr genau hinschauen, welche Projekte wir weiterführen, stoppen oder verlangsamen. Für uns in Deutschland heißt das zum Beispiel für unser Upstream-Geschäft, dass wir unsere Bohraktivitäten in diesem Jahr entsprechend herunterfahren. Auch auf der Betriebskostenseite haben wir uns weltweit ein Ziel von 15 % Einsparungen gesetzt.
ExxonMobil überwacht weiterhin die Marktentwicklung und kann bei Bedarf zusätzliche Reduktionsoptionen ausüben. Wenn sich die Marktbedingungen weiter ändern, werden wir die Auswirkungen einer möglicherweise geringeren Nachfrage für 2020 sowie längerfristige Auswirkungen auf die Produktion erneut bewerten.
ExxonMobil geht weltweit davon aus, dass die Raffinerieproduktion in der Industrie – im Einklang mit der Nachfrage und verfügbaren Speicherkapazitäten – sinken wird. Wir sind ebenso vorbereitet zum normalen Betrieb zurückzukehren, sobald sich die Nachfrage erholt. Die Umsetzung von Expansionsplänen für ausgewählte nachgelagerte und chemische Anlagen im gesamten Unternehmen werden angepasst. Ziel ist es, die Effizienz zu erhöhen, Ausgaben zu verschieben und gut für eine sich erholende Rohstoffnachfrage vorbereitet zu sein. Damit sind wir für die Überwindung der Krise zunächst einmal gut aufgestellt.
Zu Frage 2: Die derzeitige Situation ist sehr dynamisch und stellt uns alle – Gesellschaft wie Wirtschaft – vor nie dagewesene Herausforderungen. Als eine unmittelbare Reaktion haben wir – unter besonderer Beachtung unserer sehr hohen Sicherheitsstandards – eine Vielzahl an Anpassungen in unseren operativen und administrativen Prozessen vorgenommen. Wir können somit, wenn notwendig, auch über einen längeren Zeitraum hinweg unsere Produktions- und Vertriebs-Prozesse wie gewohnt sicherstellen. Dank unseres integrierten Geschäftsmodelles – von der Öl- und Gas-Förderung bis hin zu Kraftstoffen und chemischen Produkten – sind wir zudem in der Lage, mögliche Schwankungen einzelner Geschäftsbereiche aufzufangen.
Trotz der aktuell sehr starken Auswirkungen durch COVID-19 sind wir zuversichtlich, dass Handel, Transporte und Produktion sich schnell wieder erholen werden. Wir betrachten weiterhin das eigene Geschäft mit wachsamen und kritischen Augen und sind bereit, kurz- und mittelfristig auf veränderte Bedingungen und Geschäftsmöglichkeiten zu reagieren.
Zu Frage 3: Nach einer gründlichen Bewertung der Auswirkungen der Pandemie und der Marktbedingungen haben wir zunächst eine Vielzahl an Maßnahmen beschlossen und umgesetzt, um auf die aktuelle Situation angemessen zu reagieren.
Für mich ist die Krisenbewältigung und die Forderung nach Klimaneutralität grundsätzlich kein Gegensatz. Ich bin überzeugt davon, dass die Forderung vielmehr „Hand in Hand“ geht. Kernenergie wird zunehmend durch Erneuerbare Energien und Erdgas ersetzt. Kohle verliert aufgrund ihrer hohen CO2-Emissionen weltweit weiterhin stark an Bedeutung. Unter den fossilen Energieträgern besitzt Erdgas den niedrigsten CO2-Gehalt und bietet sich optimal als flexible Ergänzung zu Erneuerbaren Energien an.
Darüber hinaus forschen wir bei ExxonMobil selbstverständlich weiterhin an fortschrittlichen Biokraftstoffen aus Algen und Zellulosezucker und machen uns für eine CO2-Bepreisung auf politischer Ebene stark. Diese Arbeit treiben wir weiter voran.
Krisenbewältigung zeigt sich bei uns aber auch durch unser soziales Engagement. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen helfen an vielen Stellen privat. Gemeinsam spenden wir für den Corona-Nothilfefonds des Deutschen Roten Kreuzes. Eine Initiative, die das Unternehmen unterstützt und die Spendensumme der Mitarbeiter verdoppelt, damit das DRK Ehrenamtlichen und wichtigen Hilfsaktionen unter die Arme greifen kann. Wir helfen mit vereinten Kräften.
Bruno Daude-Lagrave, Geschäftsführer der TOTAL Deutschland GmbH (Foto: TOTAL/Max Lautenschläger)
Bruno Daude-Lagrave, Geschäftsführer der TOTAL Deutschland GmbH, 24.04.2020
Zu Frage 1: Es besteht kein Zweifel daran, dass die in Deutschland sowie in vielen anderen Ländern getroffenen Maßnahmen zwingend erforderlich sind, um die Zahl der an COVID-19 erkrankten Menschen möglichst schnell eindämmen zu können. In Deutschland zeigt sich beispielsweise nun ein erster positiver Trend. Ziel muss sein, dass alle Maßnahmen, aber auch die langsam eintretenden Lockerungen, dazu führen, dass keine zweite Welle an Infektionen ausgelöst wird. Ist dies der Fall, kann mit einer schrittweisen Belebung der Wirtschaft gerechnet werden.
Andere Segmente, wie etwa der Tourismus- oder Kulturbereich, werden vermutlich noch länger stärker eingeschränkt bleiben. Die Corona-Krise wird langfristig Spuren hinterlassen. Es ist mit einer deutlich verringerten Reisetätigkeit, insbesondere international, bis weit in das Jahr 2021 zu rechnen.
Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass die Corona-Krise zu langfristigen Nachfolgeeffekten des Mobilitätsverhaltens führen wird. Studien zeigen bereits jetzt, dass die internationale Reisetätigkeit frühestens in der Mitte des Jahrzehnts auf dem Niveau von 2019 sein wird.
In den nächsten Monaten werden sich hoffentlich graduelle Verbesserungen der medizinischen Versorgung für an COVID-19 erkrankte Menschen zeigen, bis schließlich ein Impfstoff zur Verfügung steht. Die Gesundheit und Sicherheit unserer Mitarbeiter haben bei Total absolute Priorität. Die Empfehlungen der Gesundheits- und Regierungsbehörden werden in allen Geschäftsbereichen strikt angewendet.
Zu Frage 2: Die Total Gruppe hat sehr schnell reagiert. Vor dem Hintergrund von COVID-19 und niedriger Ölpreise wurde Ende März 2020 mit sofortiger Wirkung ein Maßnahmenpaket beschlossen. Dieses beinhaltet im Wesentlichen organische CAPEX-Kürzungen um mehr als 20 % (über 3 Mrd. US-Dollar), in dessen Folge sich in diesem Jahr die Nettoinvestitionen auf weniger als 15 Mrd. US-Dollar verringern. Die OPEX-Einsparungen belaufen sich auf 800 Mio. US-Dollar (ursprünglich 300 Mio. US-Dollar). Ferner wurde das für 2020 geplante Aktienrückkaufprogramm in Höhe von 2 Mrd. Dollar ausgesetzt.
Auch Total Deutschland leistet in dieser Krise seinen Beitrag. Da unsere Mitarbeiter in den vergangenen Wochen trotz zum Teil sehr schwieriger Umstände großen Zusammenhalt und Engagement zeigen, bin ich sehr zuversichtlich, dass wir diese herausfordernde Zeit gemeinsam gut durchstehen werden. Die Total Gruppe hat nach dem immensen Ölpreisverfall 2015/16 stark daran gearbeitet, noch widerstandsfähiger gegen Krisen zu sein. Um der Volatilität der Märkte Stand zu halten, sind ein organischer Break-even vor Dividende von weniger als 25 $/b sowie eine niedrige Verschuldungsrate zwei zentrale Säulen in der Strategie der Gruppe.
Zu Frage 3: Patrick Pouyanné, Chief Executive Officer und Vorstandsvorsitzender von Total S.A., stellte jüngst klar, dass trotz der aktuellen Krisensituation im Gesundheitsbereich und an den Märkten das Engagement von Total im Kampf gegen den globalen Klimawandel nicht nachlässt. Während die Corona- und Ölpreis-Krise eher kurzfristiger Art seien, stelle der Klimawandel hingegen eine langfristige Krise dar, auf die Total nun noch stärker reagiert. Statt der bislang geplanten Reduzierung der CO2-Emissionen der Gruppe von 46 Mio. t im Jahr 2015 auf 40 Mio. t bis 2025 hat die Gruppe beschlossen, sich ein deutlich ambitionierteres Reduktionsziel bis 2025 zu setzen.
Diese Entscheidung wurde mitten in der Corona-Krise bewusst getroffen. Auch wir in Deutschland werden weiter in die Zukunft investieren. Im Verkehr zeichnet sich derzeit eine Wende in Richtung kohlendioxidfreier beziehungsweise -ärmerer Antriebsformen ab. Mit der Gründung unseres neuen Geschäftsbereiches „Mobilität & Neue Energien“ werden wir unsere Aktivitäten in den Bereichen Ladesäulen, Wasserstoff sowie gasbetriebener Mobilität in den kommenden Jahren stark ausbauen. Die aktuelle Situation um COVID-19, die weltweit nahezu alle Länder erfasst hat, ist hoffentlich eine vorübergehende Krise. Der globale Klimawandel hingegen ist eine langfristige Krise, der Total aktiv begegnet.